Landschaft, Erlebnis und Konstruktion, Monika Ziemer
Kuratorin in der Raphael Kirche, Pforzheim
Lieber Joachim!
Sehr verehrte Anwesende!
Herzlich willkommen zur Ausstellungseröffnung: Joachim Wörner, Landschaft, Erlebnis und Konstruktion.
Ich freue mich sehr über diese Ausstellung. Ich danke Dir für Deine Bilder, und ich danke Andrea Nüter für ihre Musik.
Es sind 29 Arbeiten, 11 Zeichnungen und 18 Leinwände. Zur Auswahl standen etwa die dreifache Menge an Leinwänden, und unzählbar viele Zeichnungen in 3 Mappen. Dabei sind hier nur Arbeiten aus den Jahren 2018, 2019 und 2020, ein einziges Bild ist von 2016. Das Bild mit dem Titel „Paradise lost“ kann als Programmbild der Auseinandersetzung mit dem Werk Caspar David Friedrichs betrachtet werden. Weil ich auf Deine neueren Arbeiten eingehen will, werde ich das hier nicht vertiefen.
Anfang der 1970er Jahre studierten Joachim Wörner und ich an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart Malerei, Grafik, Werken und an der Universität Kunstgeschichte. Besonders geprägt haben uns die Vorlesungen von Werner Sumowski, der sich u.a. in der Caspar David Friedrich Forschung einen Namen gemacht hatte. Nach dem Studium wurdest Du Kunsterzieher in Balingen, ich in Pforzheim. Mit den wachsenden Lebensaufgaben verloren wir einander aus den Augen.
2017 besuchte ich die Ausstellungseröffnung der Künstler*innenmitglieder des Baden-Württembergischen Kunstvereins in Stuttgart. Stellen Sie sich riesige, hohe Räume vor, Stellwände gliedern den Raum, und überall hängen Bilder, übereinander, nebeneinander, dazwischen Stehen und liegen Plastiken und Skulpturen, Objekte aller Art, Installationen. 300 Künstler*innen stellen etwa 900 Werke aus und ein freudig erwartungsvolles Publikum wuselt überall herum. In dieser Vielfalt entdeckte ich zwei Bilder, die mich durch ihren Duktus, die Farbigkeit, vor allem aber die Energie ansprachen. Staunend las ich den Namen Joachim Wörner. Ich wusste sofort: das bist Du. Im Internet fand ich Deine Website und Deine Kontaktdaten. Ich schrieb Dich an und seither sind wir wieder in Kontakt. Bei zwei Gemeinschaftsausstellungen hast Du mit gewirkt und jetzt haben wir die Gelegenheit, mit dieser Einzelausstellung tiefer in Dein Werk einzusteigen.
Seit 1981 hast Du regelmäßig ausgestellt. Dein Thema ist die Landschaft. Das war 1978 eine klare Entscheidung. Deine Landschaften sind nicht einfach ein Sujet, ein Objekt, oder gar dem Menschen entfremdete Sphäre. Sie sind vielmehr Lebensraum, Erlebnisraum, Zeugnis eines in der Weltseins, sie drücken in Resonanz befindlich sein aus. Sie machen die Geschichte ihrer Entstehung sichtbar, in Hügeln und Bergen, Tälern und Flüssen, im Wald, in Wiesen, am Horizont, am Himmel. Deine Landschaften sind erwandert und durchlebt.
Deine erste Annäherung ist zunächst fotografieren, d.h. einen Ausschnitt wählen, komponieren, belichten, und erst später, im Atelier zeichnen und malen. Die direkteste Umsetzung vollzieht sich in den Zeichnungen. Hier sind es 11 Kohlezeichnungen, in ihnen wird Erlebnis und Konstruktion erkennbar, in Graunuancen und samtigem Schwarz auf fast weißem Papiergrund, entstanden in schnellen Bewegungen.
Deine Malerei entsteht so:
Auf dem Boden liegt die gespannte grundierte Leinwand. Die ersten Akzente setzt Du linear, oft mit Indigo und/oder Preußischblau. In schwungvoller, großer Bewegung umspannst Du Dein Feld, die Spuren der Bewegung setzen den Horizont. Jetzt folgen die farbigen Flächen neben und über einander. Die Farbe orientiert sich nicht an der sichtbaren Wirklichkeit, sie ist autonom, manchmal expressiv. Ist der Untergrund trocken, sind die passiven Linien an den Farbflächen scharf abgegrenzt, markant. Bei Feuchtigkeit entstehen fließende Übergänge, eine Linie hat dann eine zarte Begleitmusik. Kommt immer mehr flüssige Farbe auf die Leinwand, mischen sich die Farben, ein See in der Mitte der Leinwand lädt den Zufall ein, es entstehen Schlieren, Strudel, Blasen. Manchmal lässt Du die Farbe direkt auf die Leinwand laufen. Es bilden sich reliefartige Oberflächen. Mit breitem Flachpinsel übernimmst Du die Gestaltung. Das alles ist mit Acrylfarbe möglich, lasieren, verdichten, plastisch werden. Es folgt das Trocknen lassen, prüfen, und neu beginnen, Schicht um Schicht. Du beschreibst es als anstrengend, ein Ringen mit dem Bild. Manchmal hilft drehen, von einer neuen Seite aus anschauen, oder ein Blick auf ein Foto... oft wieder zurück drehen...
Kirkeby beschreibt das so:
„Ein Bild zu malen, bedeutet im Großen und Ganzen, Widerstände zu schaffen, die man dann überwindet.“
(Per Kirkeby, Gespräche mit Lars Morell, Köln, 1998)
Ist das Bild gefunden? Ist es fertig?
Jetzt stellst Du das getrocknete Bild im Atelier an die Wand, so wird es ein Gegenüber. Entweder es kommt nochmal auf den Boden, zur Weiterarbeit, oder es wandert in den Wohnbereich. Du prüfst: hält es auch in der neuen Umgebung stand? Dann ist es fertig – fast fertig -, denn es bleibt etwas offen, was uns als Betrachtende zu Mitschöpfern macht.
Deine Landschaften sind keine Landschaftsporträts, es sind konstruierte Landschaften, eine Art Urlandschaften, die ihre Entstehungsgeschichte erzählen, geronnene Zeit, wie auch Deine Gemälde ihre Entstehungsgeschichte offenbaren, und sogar der Malvorgang selbst diese Entsprechung hat im lebendigen Prozess von erscheinen und verschwinden, von werden und vergehen.
Ein Blick in Deine Ausstellung:
Hier in der Mitte hängt das Bild „Offenes Gelände“ von 2019. Das Querformat hat mit seiner Breite von 140 cm ein Maß, das dem menschlichen Empfinden entgegenkommt, man kann es mit einem Blick erfassen als Weite einer Landschaft. In der Komposition wiederholter waagerechter Zonen wird dieser Eindruck verstärkt. Auch die Farbigkeit unterstützt die räumliche Wirkung. Das starke Rot kommt auf den Betrachtenden zu, das Blau am oberen Rand weicht zurück und wird als Himmel gelesen. Im Vordergrund dramatisieren zwei Repoussoirs den Kontrast von nah und groß zu kleinteilig und fern. Zunächst gebannt von den starken Komplementärkontrasten von Rot und Grün entdecke ich erst auf den zweiten Blick, wie delikat in Farbigkeit und Struktur die mittlere Bildzone gestaltet sind. Dieses Bild zeigt wie die anderen Landschaftsbilder keinen bestimmten benennbaren Ort, wird aber von vielen Betrachtenden einer Gegend zu gesprochen. Es könnte eine reale Landschaft sein.
Direkt daneben hängt ein kleines Quadrat, „Auslöschung 4", 2019 bekam es seine jetzige Form. Dass es eine Geschichte hat und ganz anders aussah mit vielen über einander liegenden Schichten, kann man an einigen farbigen Spuren erkennen. Auch die linearen Elemente, im oberen Bereich sind es zwei fast parallele Linien, nach unten kurze Zeichen rhythmisch auf der Fläche verteilt, liegen auf einem Grauton, der an manchen Stellen Gelb und noch zarter Rot, durch scheinen lässt und landschaftlich gelesen werden können. Der Titel spricht es aus: das darunter Liegende wurde weitgehend übermalt. Du hast diese Verwandlung als Befreiung beschrieben.
Du hast dieses Prinzip mehrfach an gewendet. Vor dem Kirchenraum hängt „Auslöschung 2“. In zarten Grau-grün-blautönen, mit reliefartiger Oberfläche, auf der eine gelbe Linie im unteren Drittel des Bildes nach rechts verschoben eine Kurve von links oben nach rechts oben, wie eine Schale, beschreibt. Darüber tanzt eine Linie im Joachim Wörner Blau von der Mitte aus nach rechts oben. Einige versprengte Tupfen in eben diesem Blau verteilen sich links im Bild. Dieses Bild, nur 30 x 30 cm groß, hängt an einer riesigen, viele Meter breiten und hohen Treppenhauswand und dynamisiert die gesamte Fläche.
Die Richtung der Entwicklung, der Weg, ist offensichtlich.
Bild Nr.1 dieser Ausstellung und vom Gehweg aus sichtbar ist Dein neuestes Bild. Es war kein Kampf, keine Anstrengung, es entstehen zu lassen. Die Initiallinie, die ersten Takte des musikalischen Bildes, ist eine preussischblaue Linie, die lebhaft nach rechts oben schwingt, und links im Bild von oben nach unten verläuft. Sie wird begleitet von einer sich kräuselnden grünen Linie. Links im Bild sind die getrockneten Spuren der miteinander wild gespielt habenden Farben, Gelb und Blau die in Schlieren und Kratern in Grüntönen zur Ruhe kamen, im linken unteren Eck ist ein kraftvolles warmes Rot, das zum Rosa aufgelichtet ist. Hier herrschte die Unverfügbarkeit der flüssigen Farbe. Zwischen beiden Polen eine geschlossene undurchsichtige senkrecht formierte Fläche in mattem Hellgrün und ein kraftvoller gelber Akzent, auch im unteren Bereich eine durchsichtige gelbe Fläche wie ein Echo. Daneben aber, von der Initiallinie durchkreuzt, - mutig - eine große, weiße, unberührte Fläche. Der Titel des Bildes: „Open space“.
Authentisch und für Betrachtende offen, lebendig...
Von Picasso stammen die Zeilen, die das Gesagte verdichten:
„Ein Bild ist nicht von vorn herein fertig ausgedacht und festgelegt. Während man daran arbeitet, verändert es sich in dem gleichen Maße wie die Gedanken. Und wenn es fertig ist, verändert es sich immer weiter, entsprechend der jeweiligen Gemütsverfassung desjenigen, der es gerade betrachtet. Ein Bild lebt sein eigenes Leben wie ein lebendiges Geschöpf, und es unterliegt den gleichen Veränderungen, denen wir im täglichen Leben unterworfen sind. Das ist ganz natürlich, da das Bild nur Leben hat durch den Menschen, der es betrachtet.“
(Christian Zervos, in „Conversation avec Picasso“, in Cahiers d'art, 7/10, Paris, 1935)
Monika Ziemer,
Kuratorin in der Raphael Kirche Pforzheim
März 2020